Man war vorbereitet… An Tag zwei hatten sich die Festivalbesucher Pläne gemacht, wie, wann und womit sie zum Festivalgelände bzw. auch Abends wieder davon weg kommen würden. So waren die S-Bahnen nicht mehr ganz so voll, der Einlass auf das Festivalgelände geordneter und deutlich mehr Mitarbeiter unterwegs. Und um den Tag auch noch komplett umzukrempeln, spielte die Sonne mit und lachte vom Himmel mit spätsommerlich, wärmenden Strahlen.
Also die besten Voraussetzungen, um doch noch ein grandioses Festivalerlebnis zu haben. Mit Bands und Künstlern wie Sigrid, Bonaparte, Rudimental, AnnenMayKantereit, London Grammar, den Foo Fighters und The XX war der Sonntag zusätzlich auch noch großartig besetzt.
Zuckersüß aus Norwegen
Da passte der Anfang auf der Alternative Stage mit Sigrid wie kein anderer. Überzeugte die 21 jährige Norwegerin doch mit einer, von Grund auf, sympathischen Erscheinung. Mit einem alternativen Outfit, das irgendwo zwischen Omas Fleece-Oberteil, Rock und Understatement lag, sprang Sigrid über die Bühne und überraschte mit einer äußerst professionellen Performance. Ob es Plot Twist, Strangers, I Don’t Buy It oder Fake Friends war, bei jedem einzelnen Song überzeugte Sigrid mit einer anderen Gefühlsfarbe. Von Aufregung, über Freude und auch tiefe Dankbarkeit spielen zu dürfen, sang sich die Sängerin in die Herzen des Publikums. Als zum Abschluß schließlich Don’t Kill My Vibe angestimmt wurde, feierten auch die Mengen, die sich eigentlich schon für die kommende Band positionieren wollten, mit. Mit dieser freundschaftlichen Ausstrahlung tanzte sich Sigrid in die Herzen der Fans und ließ ihnen Spaß beim zuschauen haben.
Hedonisten unter sich
Direkt im Anschluß war es wieder Zeit für einen Berliner Act. Auch wenn es Bonaparte, alias Tobias Jundt, aus der Schweiz nach Berlin gezogen hat, kann man ihn getrost als Berliner Original bezeichnen. Mit einer Bühnenshow, die es auf anderen Lollapalooza Festivals wohl nicht geben dürfte, begeisterte die er damit Tausende. Auf die Bühne getreten mit kunterbuntem Anzug war man fast schon enttäuscht, da mit Melody X und White Noize zwei vornehmlich ruhigere Songs gespielt wurden. Sollte es etwa vorbei gewesen sein, mit den eskapistischen Bühnenshows voll Riesenbabys und Stoff-Vaginas?! Denn sowohl in der Bar 25, in der für Bonaparte alles begann, als auch auf dem Berlin Festival 2012 war man anderes gewohnt. Nein, sollte die Antwort hier drauf sein. Mit Anti Anti nahm sich Bonaparte die volle Aufmerksamkeit und ließ von da an zwei Performancekünstler zu seinen Songs abgehen. So kamen sie in Glitzeroutfits, riesigen Fleischkostümen und dem wohl längsten Striptease Berlins, auf die Bühne. Auf Anti Anti folgten Songs wie Fuck Your Accent, Do You Want To Party, Computer In Love, Too Much und Out Of Control. Diese Songs führten bei den beiden Performern dazu, dass wahlweise, eine mit Tape zugeklebte Punkerin auf einem aufblasbaren Schwan über die Menge ritt oder ein nackter, mit Glitzer beklebter Mann hedonistisch über die Bühne tanzte. Bonaparte ist immer wieder sehenswert und mit neuer Musik live nur zu empfehlen.
Nach einem kurzen Abstecher ins Lolla Fun Fair – einem Eldorado der Unterhaltung – mit allerlei Kuriositäten wie barock gekleideten Friseurinnen, die platte Haare in spacige Kunstwerke verwandelten, über Tänzer, Sportler und geschminkte Kreaturen, gab es hier auch zahlreiche Stände für das leibliche Wohl. Wie schon 2015 auf dem Tempelhofer Feld, wurde auch bei dem diesjährigen Lollapalooza Berlin Festival der zweite Tag deutlich verbessert. So gab es weniger Schlangen an den Ständen und war mehr Personal vorhanden.
Derbe Bässe und Shootingstar
Auf der Mainstage 2 wurde indes alles für den Auftritt der britischen Combo Rudimental vorbereitet. Mit einem Mix aus Hip-Hop, House, Pop und Drum’n’Bass war die Band in den letzten fünf Jahren zu einer ganz großen Nummer im britischen Musikbusiness geworden. Dies zeigte sich auch an diesem Sonntag auf der Bühne. Haben Rudimental hauptsächlich Gastsänger auf ihren Songs, war auch hier, mit Anne-Marie, eine Sängerin dabei, die gerade in Großbritannien ihren Durchbruch feierte. Mit Feel The Love, Waiting All Night, Not Giving In, Bloodstream, Rumour Mill, Lay It All On Me und Sun Comes Up hatte das Quartett alle großen Songs im Gepäck und überzeugte mit einer energiegeladenen Show die vor allem durch das Anheizen von Leon Rolle, alias DJ Locksmith immer wieder befeuert wurde. Durch Raps, animieren zum Springen, Klatschen und Schreien gab es immer wieder Wellen von Euphorie und keine Zeit für eine Pause. Was Rudimental bereits 2013 auf dem MELT! Festival bewiesen, wiederholten sie dieses Jahr auf der Lollapalooza Bühne – nämlich, dass sie eine unglaublich starke Liveband sind und mit ihnen jedes Konzert zur Party wird.

AMK und alle sind begeistert
Etwas früher die Briten verlassend, ging es gleich nebenan zur Mainstage 1, auf der in wenigen Minuten AnnenMayKantereit – einem der wohl größten aktuellen Musikphänomene Deutschlands – auftreten sollten. Mit Authentizität sondergleichen haben es die vier Kölner geschafft, binnen vier Jahren einen der größten Hypes, seit Kraftklub auszulösen. Mit Frontsänger Henning Mays sympathischer Art auf der Bühne zu stehen, zeigte sich auch an diesem Sonntag, warum die Band so beliebt ist. Standen doch vier Jungs Anfang 20 auf der Bühne und spielten ihre Lieder vor 40.000 Menschen, als wäre es ein Wohnzimmerkonzert. Mal intim und berührend, wie bei Barfuß am Klavier, mal nach vorne gehend, wie bei Wohin Du gehst und mal einfach mitreißend, sang May die Songs, die bereits vor 3 Jahren über YouTube virale Hits wurden. Gespickt mit Coverversionen, wie Sunny, Valerie und Du hast den Farbfilm vergessen spielten sich die Jungs durch insgesamt 18 Songs und füllten die Bühne – entgegen der Sicht einiger Journalisten – durch ihre nüchterne Präsenz vollkommen aus. AnnenMayKantereit sind wahrlich ein Phänomen – nur durch ihre Musik auffallend und fernab von Plattendeals groß geworden, haben sie sich auch in den letzten drei Jahren, in denen ihre Karriere steil nach oben ging, nicht dazu hinreißen lassen, ihre raue, ehrliche und sympathische Art abzulegen.
Für einen kurzen Abstecher ging es anschließend zur Alternative Stage, auf der gerade London Grammar auftraten. Mit ihrem wunderschönen Gesang hüllte Sängerin Hannah Reid den Platz vor der Bühne in eine Kathedrale der klaren Töne. Dabei traf es sich gut, dass sie gerade die beiden stärksten Songs Wasting My Young Years und Strong spielten. Allerdings mussten in Neugier auf den kommenden Act alle weiteren Annehmlichkeiten auf das kürzeste beschränkt werden.
Auf sie mit Gebrüll – die Foo Fighters
Denn auf der Mainstage wurde alles für das einzige Deutschlandkonzert der Foo Fighters aufgebaut. Bereits lange vorher war das Vorfeld der Bühne von tausenden Fans okkupiert worden. Machte man sich nun also 20 Minuten vor Beginn des Auftritts auf zur Bühne, kam man von den Getränkeständen des hinteren Feldes nicht mehr weit. Denn bereits jetzt waren von der Bühne bis zur anderen Seite der Rennbahn die 350 Meter so voll, dass man sich nur noch in den hinteren Metern einreihen konnte. Mit aufblitzenden Showlicht, kam dann auch Dave Grohl auf die Bühne und ließ erstmal eine Holy Shit los, als er die Massen sah. Dies sollte ihm immer wieder über die Lippen kommen und ließ ihn dadurch oftmals irgendwo zwischen vermeintlich aufgesetzt und fasziniert wirken. Mit sagenhaften 21 Songs wurde der Auftritt eine kleine Entschädigung für die Tatsache, dass es trotz neuem Albums, vorerst keine weiteren Konzerte in Deutschland geben sollte. Und so spielte sich die Band um Grohl durch alle bekannten und beliebten Songs der letzten 22 Jahre. Ob Learn To Fly, The Pretender, My Hero, Walk, Rope, Best Of You oder Wheels war alles dabei, um Dave Grohl und das Publikum ausrasten zu lassen. So schrie er nicht nur einmal Hey ins Mikrofon um beim fünften mal amüsiert hinzuzufügen, dass es nicht seine Stimme am Ende sein wird, die weg sei. Auch die Foo Fighters hatten den ein oder anderen Gastkünstler mit auf der Bühne. So war zum Song The Sky Is A Neighborhood die Sängerin Taylor Greenwood mit auf der Bühne, als auch zum Jane’s Addiction Song Mountain Song kein geringerer als Jane’s Addiction Frontman und Erfinder des Lollapalooza Festivals Perry Farrell selbst dazu stieß. Die Foo Fighters spielten ausgiebig, laut und hatten sogar ihre rebellische Ader ausgelebt, in dem sie immer wieder erwähnten, dass sie ein Verbot erhielten, länger als angekündigt zu spielen, da sich sonst jemand beschweren könnte, es aber dennoch versuchen wollen.
Mit Spiegelshow zum Höhepunkt
Mit 15 minütiger Verspätung und unter dem Gerücht, ihnen würde der Sound leiser gedreht werden, kamen schließlich The XX auf die Bühne der Mainstage 2 und ließen keinen Zweifel daran, das der Sound genau richtig eingestellt war. Mit einer fantastischen Licht- und Spiegelshow begeisterten die drei Londoner das Publikum und waren gleichzeitig auch die letzte Band des Wochenendes. Mit ihren stets warmen und berührenden Worten ließen Romy und Oliver Gänsehaut-Momente entstehen. Dass politische Statements in der Popkultur immer nur auf einige Wenige beschränkt sind, sah man auch an diesem Wochenende. In Zeiten von restriktiven und mitunter diskriminierenden Regierungen und einer rückwärtsgewandten Politik, ließen The XX keinen Zweifel daran zu, wofür diese Band steht. Dies äußerten sie mit den Worten, dass Deutschland und Berlin immer eine besondere Stellung in ihrer Geschichte einnehmen würde, um es dann musikalisch mit Say Something Loving zu untermalen. Daneben spielten sie auch Crystalised, Island, I Dare You, Infinity, VCR oder Shelter, um anschließend, wie auf ihrem Konzert im Februar in der Arena Berlin, einen Remix des Jamie XX Songs Loud Places zu präsentieren. Schließlich schlossen die drei den Abend mit On Hold und Angels ab, eh sie sich mit einer unfassbaren Innigkeit beim Publikum bedankten und Romy und Oliver sich beim Bühnenabgang froh und herzlich in den Armen hielten. Dass diese Band eine derartige Magie versprüht, liegt nicht nur an der Musik, die sie machen, sondern vor allem an den drei Persönlichkeiten, die hinter dem Doppel-X stehen.
So ging der zweite Tag mit großen Künstlern zu Ende und hatte weitaus weniger Probleme, mit den Menschenmengen fertig zu werden. Die große Spielwiese aus friedlichen Menschen und dem Willen, etwas zu entdecken, entschädigte den ersten Tag und sorgte für einen versöhnlichen Abschluß. Nun steht für das Lollapalooza Berlin Festival 2018 bereits der Ort fest und man darf gespannt sein, ob der Olympiapark am Olympiastadion ein geeigneterer Ort ist. Zumindest der Anschluss an die öffentlichen Verkehrsmittel ist mit der U2 und der S-Bahn schon mal ein unschlagbares Plus. So sind wir gespannt auf das Line-Up 2018 und werden ganz sicher dabei sein.