Es war der Schmelztiegel der Festival-Sommers. Bei so gut wie keinem anderen Festival in diesem Jahr und dieser Größe gab es wohl bessere Wetterbedingungen als bei dem am 10. und 11. September stattgefundenen Lollapalooza. Bereits das zweite mal machte das, aus Chicago kommende, Festival halt in Deutschland und somit Berlin. Was 2015 noch mit knapp 45.ooo Besuchern durchgeführt wurde, reichte 2016 mit 70.000 Gästen pro Tag um das größte Stadtfestival Deutschlands zu werden. Ob nun der Begriff Stadtfestival sein muss, um sich zu positionieren – darüber kann man streiten – doch auch ohne diesen Zusatz war das Festival mit insgesamt 140.000 Besuchern an zwei Tagen eines der größten des Landes. So zog es natürlich auch einige namhafte Künstler an und konnte mit Headlinern wie Radiohead und den Kings Of Leon aufwarten. Aber auch fernab der großen Namen gab es viele sehenswerten Acts und vor allem einen ganz großen Highlight – dem Festivalgelände selbst.
Vom Stadtpark zum Märchenwald
Wer den Treptower Park kennt, weiß, dass der Park so einige verzauberte Ecken hat. So kam dazu, dass die Veranstalter des Lollapalooza’s überall, ob der vielen Bühnen, Getränke- und Imbissstände, kleine Entdeckerinseln schufen. Da konnte man sich kostenlos Fotos in einer Fotobox erstellen, in einem Zirkus seinen Kopf durch Schablonen stecken und so Bilder als Dompteur oder Rad fahrender Bär machen. Aber boten natürlich auch die Sponsoren allerlei Unterhaltsames an ihren Ständen an. Mit einem Pop-up Club der ganz besonderen Art, sorgte hier eine Zigarettenmarke für viel Aufsehen. War der Club doch voll mit Technik und neuesten Hightech-Equipment. Da konnte man mit Virtual Reality Brillen in eine digitale Wüste eintauchen oder harte Drum’n’Bass Beats mit seiner bloßen Hand in der Luft erzeugen. Dies alles wurde von einem spacigen Design abgerundet.
Von Lindsey Stirling bis Max Herre
Der Samstag begann mit dem Auftritt der amerikanischen Violinistin Lindsey Stirling. Bekannt für ihren Mix aus klassischer Musik und Dubstep schaffte es Stirling erstaunlich schnell eine große Menge an Zuschauern vor die Mainstage 2 zu bewegen. Da wurden ihre aktuellen Singles wie Prism und Something Wild genauso gespielt, wie ihre bekanntesten Songs Crystallize und Shatter Me. Nach knapp einer Stunde war der Zauber der Violine vorbei und ließ sichtbar viele fragende Gesichter zurück. Konnten einige doch nicht glauben, dass sich klassische Violinenmusik so gut mit Dubstep verträgt und dieser Mix sogar tanzbar war. Während auf der Mainstage 1 die Briten von Catfish And The Bottleman mit ihren großen Hits Homesick und Kathleen begannen und auf der Perry’s Stage der norwegische DJ Matoma mit sommerlichen Tropical House Remixen für Open-Air-Stimmung sorgte, drehte ein kleiner Underdog auf der Alternative Stage so richtig auf. Mit Songs wie What Love, Four, Give Me A Reason oder OB1 zeigten die Australier von Jagwar Ma, was für einen fantastischen Psychedelic Rock die drei drauf haben. Immer ein wenig an der Grenze des künstlerischen Ausprobierens zeigte vor allem Sänger Gabriel Winterfield mit seiner Spielfreude, dass sich die Band gerne auch mal einfach der Musik hingibt und so ein Song schnell mal 6-7 Minuten lang werden kann. Bewundernswert hierbei war, dass trotz der langen Songs nie Langeweile aufkam.
Kaiser Chiefs – Wir spielen um unsere Berechtigung
Keine halbe Stunde nach Jagwar Ma kamen die britischen Indie-Urgesteine auf die Bühne. Auf einer überdimensionalen LED-Wand im Hintergrund wurden in großen Lettern die Kaiser Chiefs angekündigt, welche die Indie-Bewegung der 2000er wie kaum eine andere Band mitbestimmt haben und mit modernen Klassikern wie Ruby, I Predict A Riot, Oh My God oder Never Miss A Beat für die Dancefloorkiller sorgten. Doch nachdem ihr 2011er Album The Future Is Midieval sehr deutlich die Erwartungen verfehlte und auch das nachfolgende Album Education, Education, Education & War, außer in Großbritannien, eher verhalten aufgenommen wurde, hatten es die fünf Briten in letzter Zeit recht schwer.
Ob die musikalische Neuausrichtung auf ihrem, am 7. Oktober erscheinendem, sechsten Studioalbum Stay Together für eine Kehrtwende sorgt, werden wir in einigen Wochen wissen. Was allerdings fernab des kommerziellen Erfolges bei den Kaiser Chiefs immer erwartbar ist – das ist eine atemberaubende Show. Und diese gab es dann auch. So sang sich Ricky Wilson durch 60 Minuten vollgepackt mit allen relevanten Kaiser Chiefs Songs und zeigte dabei eine Energie, die man sich bei so einigen Künstlern hätte gewünscht. Da sprang Wilson von einer Monitorbox zur nächsten und sang sich durch Ruby, Parachute, Coming Home, Modern Way, Hole In My Soul und viele mehr. Zwischendurch plauschte Wilson dann immer wieder mit dem Publikum und wies auf das kommende Album und die anstehende Tour hin. Immer wieder dabei, die Manager und Tourmitglieder fernab der Band, die im Graben standen und sich das Spektakel zwischen Band und Publikum ansahen. So war man nach 60 Minuten ausgepowert und brauchte erst einmal etwas Entspannung.
Vom unendlichen Chillen zu tiefen Emotionen
Von den Kaiser Chiefs in Richtung der Mainstages aufgemacht, empfing Max Herre alle dazugestoßenen mit Songs wie Wolke 7 oder Esperanto. Seine unglaublich entspannte Art und sein lässiger Gesang passten wunderbar zu den 30°C und Sonnenschein. Auf der Bühne unterstützt hatten ihn Joy Denalane, Philipp Poisel, Afrob und Megaloh. Hier sang sich Philipp Poisel dann bereits für seinen Auftritt auf der Mainstage 1 warm, denn direkt nach Herre ging es für ihn dort weiter. Hatte er in den letzte zwei Jahren gerade mal fünf Auftritte absolviert, sollte das Lollapalooza als großes Comeback dienen. Schließlich kam eine Woche später seine neue Single Erklär Mir Die Liebe raus. Doch was Poisel hier auf der Bühne ablieferte, ließ wohl die größten Fans sprachlos zurück. Denn es flossen Tränen. Nicht etwa beim Publikum, sondern bei Poisel selbst. Wer bereits Auftritte des Baden-Württembergers genießen konnte weiß, dass Poisel einen verletzbaren Charakter hat. Mit seinen Texten, die tief berühren können und seiner zurückhaltenden Art des Vortragens zeigt er seit Beginn seiner Karriere, dass er kein Rampenlichtkünstler ist. Auf dem Lollapalooza allerdings, begann Poisel bei seinen Songs dann tatsächlich zu weinen. Und genau dieser Moment war es, der Menschen, die nicht zu Poisels Fans zählen, die Gänsehaut auf die Arme brachte. Obwohl das Konzert von Arte Concerts mitgeschnitten wurde, gibt es diesen Teil leider nirgends im Netz zu finden. Und das, obwohl genau dieser Auftritt wohl der authentischste des ganzen Festivals sein sollte. Denn was kann es wertvolleres geben, als ein Künstler, der seine Texte fühlt und tatsächlich zu ihnen eine Verbindung aufweisen kann? So sang das Publikum, wenn Poisel die Stimme versagte, und ging mit allen Songs des 31 Jährigen mit.
Es folgt DER HEADLINER
Anderthalb Stunden. So lange dauerte die Umbauzeit auf der Mainstage 1 von Philipp Poisel zu Kings Of Leon. Und obwohl der Platz vor der Bühne bereits bei Poisel bis zu den hinteren Bäumen gefüllt war, kamen gefühlt nochmal mindestens 40% der Festivalgänger dazu. Alles, um die amerikanische Rockband Kings Of Leon zu sehen. Wurde einen Tag zuvor ihre neue Single Waste A Moment, des kommenden Albums We Are Like Love Songs, veröffentlicht, sollte es insgesamt bei nur zwei Songs aus diesem Album bleiben. Vielmehr spielten die KOL’s auffällig viele Songs aus ihrem dritten, vierten und fünften Album. Hier waren allen voran Songs wie Closer, On Call, Notion, Fans, Pyro und natürlich Use Somebody und Sex On Fire die absoluten Lieblinge des Publikums – konnten hier doch viele mitsingen.
Was allerdings sehr stark auffiel – und das im direkten Vergleich zu den anderen Künstlern dieses Tages – war, dass sich die Band um Caleb Followill nicht wirklich bemühte eine Verbindung zum Publikum aufzubauen. So folgte ein Song nach dem anderen und zwischendurch ab und an ein We Love you, We are Kings Of Leon oder You’re the best. Was genau Followill mit dem letzten Satz eigentlich meinte, konnte man anhand des nicht überspringenden Funken, kaum erfassen. Einen kurzen Moment der Persönlichkeit gab es dann allerdings doch, als Caleb Followill das Publikum bat für seinen Cousin Matthew zum Geburtstag ein Ständchen zu singen. Gesagt, getan ging es für die Band schnurstracks weiter im Programm. So folgte ein Song nach dem anderen und so blieb das Konzert unerwartet unspektakulär und störrisch.
Und so kam man am Ende des Tages mit den ersten Highlights nach Hause und freute sich auf den zweiten Tag, der den Drang nach Wasser und Schatten im Vordergrund rücken lassen sollte. Dazu dann morgen mehr.
