Die Hamburger Schule war einst Wegbereiter für eine neue Ausrichtung von Indie-, Pop- und Rock-Musik. Dabei entstammt die Bezeichnung Hamburger Schule mehr oder weniger einer Beschreibung von Bands, die von Journalisten des Spex-Magazins und der Tageszeitung taz Anfang der 1990er Jahre gemacht wurde. Auch als Diskursrock bezeichnet, kann die Hamburger Schule als eine Weiterentwicklung der Neuen Deutschen Welle aus den 1980er Jahren gesehen werden. Sicherlich nicht die charmanteste Verknüpfung – guckt man sich die Diskografie von Bands, wie Blumfeld, Kante, Selig, Die Sterne und eben Tocotronic an. Doch hört man sich die Songtexte dieser Bands an, wird schnell klar, dass sich hier eine Bewegung in Gang gesetzt hatte, die mit intelligenten Texten auf politische, gesellschaftliche und ganz persönliche Themen eingeht und damit eine deutliche Abgrenzung zum, zwar unterhaltsamen aber zumeist doch recht belanglosen Pop der Neuen Deutschen Welle darstellt. Viele der oben genannten Bands bestehen heute nicht mehr oder haben sich nach jahrelanger Pause erst spät wieder zusammengefunden. Bei Tocotronic ist dies anders. 1993 gegründet, feierten die Hamburger im vergangenen Jahr ihr 30 jähriges Bandbestehen. Dabei steht Tocotronic für eine Mischung aus eingängigen Songs, gepaart mit starken Songtexten und einem Aufgreifen von aktuellen Themen aus der Gesellschaft. Songs, wie Pure Vernunft darf niemals siegen, Hi Freaks, This Boy is Tocotronic, Nie wieder Krieg oder Mein Ruin zählen zu den Highlights der deutschsprachigen Popkultur und treffen die Hörenden mal intensiver mit den Texten, mal mit dem Sound. Denn neben all dem grandiosen Songwriting haben Tocotronic auch immer ein Gespür für mitreißende Gitarrenklänge.

Jetzt sind Sänger Dirk von Lowtzow, Bassist Jan Müller und Schlagzeuger Arne Zank mit neuem Album zurück und veröffentlichen nach der Single Denn sie wissen, was sie tun, nun die Leadsingle Golden Years – nachdem auch das 14. Studioalbum Golden Years benannt wurde und am 14. Februar 2025 erscheinen wird. Mit dem Song Golden Years nehmen uns Tocotronic mit auf ein Reise, die auch als Flucht vor dem Alltag gesehen werden kann. Denn im Song treibt es den Protagonisten in die Flucht von bekannter Eintönigkeit weg, zu dem vermeintlich großen schillernden Momenten. Golden Years ist ein musikalisches Mikro-Lebensdrama und die zweite Single aus unserem gleichnamigen Album. Ein Mensch, offensichtlich ein Musiker, besteigt eines frühen Morgens, nach durchwachter Nacht von Heimweh geplagt, den ersten Zug nach Berlin. Durch die Betonpfeiler des Bahnhofs dringt die Morgensonne ins Abteil und taucht ihn und die anderen Menschen in der zweiten Klasse in ein goldenes Licht. Bei einem Zughalt steigt er kurz aus und blickt auf die zurückgelegte Wegstrecke, um kurz danach die Fahrt über Göttingen fortzusetzen, das gleichnamige Chanson von Barbara im Ohr. Das Glück liegt oft in der plötzlich veränderten Beleuchtung einer Szenerie, im kurzen Aufblitzen des Jenseitigen in unserem Alltag, denkt er sich – so die Band zur Veröffentlichung über den Song. Mit ruhigen aber intensiver Eindringlichkeit erzählt von Lowtzow eine Geschichte, der man sich nicht entziehen möchte. Tocotronics Musik ist ein Dialog zwischen der Gegenwart und dem Blick von Außen auf das, was uns beschäftigt – mal als Ohrfeige, mal ganz harmonisch anschmiegsam. Auf Golden Years trifft Letzteres zu und gibt der Band einen weiteren Grund, warum auch nach 31 Jahren noch viel zu viel zu sagen ist.