Sie kamen, sie spielten, sie siegten. So könnte man das Konzert der britischen Band Coldplay, dass sie am vergangenen Mittwoch im Berliner Olympiastadion gaben, beschreiben. Doch es bei dieser kurzen Beschreibung belassen zu wollen, wäre eine pure Vernachlässigung dieses Abends. Denn war der Konzertabend doch sage und schreibe viereinhalb Stunden mit Musik gefüllt und spielten Acts wie Alessia Cara aus Kanada und die Britin Lianne La Havas das Publikum warm.
Sweet Little 19 – Alessia Cara
Cara, die mit ihren souligen Popsongs, die aktuell durch die Radios zu Hits avancieren, neu und unglaublich frisch klingt, hatte sich ein paar ihrer stärksten Songs zum singen ausgesucht. Die gerade einmal 19-jährige Sängerin überraschte mit einer Natürlichkeit und sympathischen Art, die sich auch durch Songs wie I’m Yours, Wild Things, Overdose und River Of Tears ziehen sollte. Immer wieder ging sie auf das Publikum zu und erzählte kleine Anekdoten. So präsentierte sie nach Scars To Your Bautiful den Song, der sie berühmt gemacht hatte und gleichzeitig ihr erster geschriebener Song war. Here hat den Groove und die Stimmung, um ein Stadion mit knapp 60.000 Menschen zum bewegen zu animieren.
Mit Stimmgewalt
Ein ganz ähnlicher Act und doch total anders war Lianne La Havas, die mit ihrem Neo-Soul und der warmen Stimme für ein paar sehr entspannte Momente sorgte. Vor allem funktionierten Forget, Tokyo, Green & Gold und Unstoppable auf der großen Bühne hervorragend und konnte La Havas mit ihrer Stimme das ganze Stadion ausfüllen. Doch auch das Cover von Aretha Franklins I Say A Little Prayer und Midnight zeigten die Vielseitigkeit La Havas. War die Franklin-Version doch eine smoothe Feelgood Variante, folgte mit Midnight ein dramatisch und mit viel Gefühl und Chorgesang gesungener Song.
Nach La Havas gab es eine 30 minütige Umbaupause in der sich das Berliner Publikum von seiner starken Seite zeigte. War die Stimmung im und um das Olympiastadion doch derart positiv, dass sich 60.000 Leute selbst unterhalten konnten und zu mehreren La-Ola-Welle ansetzte, die sich jeweils einmal durch das gesamte Stadion und den Innenraum ziehen sollten. Selbst ein, von einem Einzigen auf dem Oberang, begonnener Klatschtakt wurde umgehend vom ganzen Stadion kopiert und schaffte so einen ganz besonderes Gefühl des Zusammenseins.
3, 2, 1, Ready, Set, Go!
Mit einer Passage aus Maria Callas O mio babbino caro, Einspielern von Fans auf der ganzen Welt, dem Einschalten der LED-Armbänder, sowie einer dramatischen Rede Charlie Chaplins, kamen schließlich um Punkt 21 Uhr die Briten um Chris Martin auf die Bühne und entfachten ein wahres Feuerwerk, dass mit dem Song A Head Full Of Dreams, viel Lichtshow, Nebel, Hall, Konfetti und tatsächlich auch einem Feuerwerk alle zum ausrasten brachte. Von so einem Start in das Konzert einer der erfolgreichsten Bands unserer Zeit hatten wohl die wenigsten gerechnet und machten sich gefasst auf einen Abend voller Energie und guter Gefühle.
Das mit unzähligen Lautsprechern ausgestattete Olympiastadion konnte bei jedem Song, mit einem satten Sound und klaren Tönen überzeugen. Schwieriger wurde es allenfalls hier und da, als Chris Martin zum Publikum sprach. Nach einem der aktuellsten Songs folgte mit Yellow einer der ältesten Songs Coldplays, bei dem das Publikum sofort mit sang. Beide Song zeigten, wie unterschiedlich die Band Coldplay sein kann und so sollte sich in der nachfolgenden Songreihenfolge ein ähnliches Bild abzeichnen. Folgte doch auf Yellow mit Every Teardrop Is A Waterfall wieder eine äußerst schnelle Nummer, bei der das Stadion regelrecht ausflippte, wurde man direkt im Anschluss mit The Scientist wieder komplett runtergeholt. Mit Birds folgte eine Uptempo-Nummer um danach, von Chris Martin, mit einer Lobeshymne an Deutschland gerichtet, Paradise anzustimmen. Hier sorgten vor allem Martins Worte, die Bezug auf die aktuelle, politische Lage auf der ganzen Welt nahm, für Gänsehautmomente. Mit einer Deutschlandfahne in der Gesäßtasche sang er sich durch den Song und ließ viel Raum für das Publikum, um mitzusingen und den O’s und A’s zu folgen. Schließlich mündete Paradise in der vom niederländischen DJ Tiësto geremixten Version und lies alle tanzen und springen.
Politisch und trotzdem populär
Mit einer kurzen Überbrückung kehrten Coldplay auf der kleinen Inselbühne ganz vorne zurück und spielten Always In My Head, Princess Of China, bei dem sich wohl einige erhofft hatten, Rihanna als Überraschungsgast zu sehen, und Everglow, welches in einer Rede von Muhammad Ali endete und den Istanbul gewidmet war. Nach nur drei Songs wechselten sie wieder zur Hauptbühne um nach einem kurzen Army Of One-Teaser zu Clocks überzugehen, der die Stimmung im Olympiastadion noch mal auf ein neues Level heben sollte. Stand doch die Bühne in einer Glut aus rotem Licht und Lasern und blinkten alle Armbänder abwechselnd vom Nachbarn in rot. Dass man hier regelrecht anfing zu schweben und komplett vergaß, mit 60.000 in einem Raum zu stehen, war hierbei nur zu verständlich.
Mit einer kurzen Sequenz ihres fantastischen Songs Midnight ging es über zu Charlie Brown, der wieder einmal das Konzept verfolgte, aus einem ruhigen Song kommende zum absoluten Ausraste-Hit zu werden. Sind es doch diese Gegensätze, die Coldplay nach wie vor vereint – die ruhigen und emotionalen Song genauso zu beherrschen, wie die großen Stadionhymnen. Hymn For The Weekend war dann auch ein Song der zweiten Kategorie, der im Anschluss in Fix You überging.
Die Huldigung eines Genies
Einer der absoluten Höhepunkte war die Version des David Bowie Songs Heroes. Der Song, der eigentlich für sich selbst steht und bis heute in jeder Generation den Nerv traf, wurde von Coldplay noch einmal angehoben und in den Himmel getragen. Wo sonst hätte man die Songzeile We can be heroes just for one day besser verorten können, als auf einem Coldplay-Konzert?! Natürlich nur unter dem Gesichtspunkt, nie in den Genuß eines David Bowie Konzertes gekommen zu sein. Mit Viva La Vida und Adventure Of A Lifetime folgten schließlich noch zwei Songs, die den Kessel zum kochen brachten. Und während Adventure Of A Lifetime noch lief, kamen die Jungs durchs Publikum zu einer seitlich, aufgebauten Bühne auf der sie Don’t Panic, In My Place und Til Kingdom Come akustisch spielten und bei dem auch Gitarrist Johnny Buckland zum Zuge kam und den Refrain von Don’t Panic überraschend gut sang. Während Martin Til Kingdom Come als Solo auf der Bühne vollendete, ging der Rest der Band bereits wieder zur Hauptbühne zurück und wurde nur durch ein kurzes Du, Du hast, Du hast mich rausgeholt, welches Martin auf der Seitenbühne noch zum Besten gab und für ein Schmunzeln bei den Fans sorgte.
Vom Akustiksong zu Rammsteins ‚Du hast‘
Mit einem extra langenIntro zu Amazing Day rannte Martin, durch das Publikum, zurück auf die Hauptbühne und vollendete das Konzert mit A Sky Full Of Stars. Da um kurz vor elf nun auch der Himmel über Berlin dunkel war, kam die Lichttechnik und die abertausend Armbänder in voller Pracht zum Vorschein. So gab es ein grandioses Konfettifeuerwerk mit einer Lichtshow die einen sprachlos dastehen ließ. Dass danach noch Up & Up kam, war wohl eigentlich nicht mehr als der Versuch das Publikum nicht ganz ins Loch fallen zu lassen und ihnen einen Song mit auf den Heimweg geben zu wollen, den sie im Kopf behalten würden.
Doch nach diesem Konzert und der ganzen Glücksmomente, Tränen in den Gesichtern und der Gänsehaut wurde es dem Publikum nicht leicht gemacht, die letzten zwei Stunden zu verarbeiten. Coldplay schaffen das, was viele Bands wollen aber nicht erreichen. Die Massen zu begeistern, sie abzuholen und für ein paar Stunden mit in eine Welt zu nehmen, in der man in sich selbst reinhören kann und von innen heraus Emotionen freisetzt, die einen sprachlos dastehen lassen.
Eine Frage blieb uns Chris Martin dann aber noch schuldig. Wer war dieser Alex, dem er mehrmals während des Konzertes gratulierte?!
